Die Ratte

Eines schönen, lauen Abends auf Sumatra sass ich nichtsahnend gemütlich auf meiner Veranda, vertieft in mein im Homestay errungenes Buch, als nach einer guten Stunde der bereits erwartete Stromausfall kam. Gleichgültig setzte ich, an Stromausfälle längst gewöhnt, meine Lektüre also mit Taschenlampenlicht und im Schein meines selbstgebastelten Kerzenhalters (erfinderisch wird man auf Reisen: Kokosnussschale, Muschel, Sand, Kerze. Voilà) fort. Irgendwann kam mein Bungalownachbar Lorenzo auf einen Schwatz und eine Zigarette vorbei und auch der Strom lief nach einer guten halben Stunde wieder an. Alles tiptop. Aber dann schaute ich geistesabwesend von meiner Veranda durch das grosse Panoramafenster ins Zimmer und was erspähten meine Augen? Eine Ratte. Eine dicke, fette Ratte! Fodes, no!! Es reicht nicht, dass ich den Pass verliere, den Rollerschlüssel aus der Kloake fische, unser Zimmer überflutet wird, Quallen mich attackieren, nein, es braucht natürlich noch eine Ratte in diesem Akt – was für ein Miststück.

 

Dass sich später ein Falter so gross wie meine beiden Handflächen dazu gesellt hat, ist eigentlich nur logisch. Dieser war im Vergleich fast schon kuschelig.

 

Wir haben uns also kurz beraten und schon stand ich wie ein altes Waschweib oder eine herrschsüchtige Ehefrau mit dem Besen in der Hand im Zimmer und einem wohl so verrückten Gesichtsausdruck, dass die Ratte eigentlich von alleine einen Abgang hätte machen müssen. Selbstverständlich hat sich das Miststück aber wieder versteckt und so kroch ich unter das Bett, in die kleine Höhle (mein Bungalow ist direkt IN den Felsen gebaut), schlich die Treppe hinunter zur Dusche und stocherte mit dem Besenstiel in den Löchern der Wände herum. Sogar jetzt, während ich diese Geschichte tippe, muss ich lachen, offenbar habe ich die reinste Komödie vorgeführt, denn Lorenzo, der von Draussen zugesehen hat, lag zeitweise am Boden und hat sich vor Lachen gekrümmt. One-Woman-Show par excellence. Jaja, alles zur Belustigung meines Umfelds. Frustriert habe ich irgendwann aufgegeben und mir stattdessen einen grossen Schluck Duty-free-Vodka gegönnt. Mit der Flasche in der Hand habe ich mich wieder nach Draussen gesetzt und mir gedacht, die Angelegenheit sei damit erledigt. Schicht im Schacht. Ratte weg. Aber es hat nicht lange gedauert, bis mein neues Haustier wieder aus einer Felsspalte gekrochen kam. Wie berechnet, just in dem Moment, als ich mich fast schon wieder erholt hatte und mir eine Zigarette anzündete. Dieses Vieh hat mich regelrecht verhöhnt, ist wie selbstverständlich durch mein Zimmer getippelt, hat alles beschnuppert und ab und zu den Kopf Richtung Fenster gedreht, nur um dann völlig gleichgültig wegzuschauen, sich divenhaft umzudrehen und es sich anderswo gemütlich zu machen. In einer Felsspalte, zu der ich keinen Zugriff hatte. Was für eine Farce.

 

Als Nächstes kamen wir auf die glorreiche Idee, dieser arroganten, selbstgefälligen Ratte mit einem Keks eine Spur nach Draussen zu legen, ganz im Sinne von Hänsel und Gretel und sie dann mit dem Besen von der Veranda zu fegen. Das klingt grauenhafter als beabsichtigt, nur einige Tritte hinunter, damit sie verschwindet, aber nicht stirbt. Und ihre Lektion lernt. Natürlich. Ich bin ja kein Unmensch.

 

Aber was passiert, wenn das Miststück draussen ist? Ja, irgend etwas mussten wir vorbereiten. Also wurde die Wäscheleine abmontiert und am Türgriff befestigt. Ein erster Testlauf wurde durchgeführt und hat auf ganzer Reihe versagt. Seil gerissen. Next try. Sehr gut. Jetzt kann die blöde Kuh kommen. Wir alle kennen Murphys Law und es war eigentlich nur logisch, dass die Ratte sich jetzt, wo wir uns auf die Lauer gelegt hatten, nicht mehr zeigen würde. Nun gut, zurück zum Vodka, zurück zum Gespräch, noch eine Zigarette und warten, warten, warten. Aber sobald ich sie aus meinen Gedanken verdrängt hatte, tigerte sie auch schon aus ihrem Versteck, schnurstracks auf die Kekskrümel zu. Ich muss schon sagen, interessant ist es allemal, einer Ratte beim Fressen zuzuschauen. Intelligentes kleines Biest. Aber meine Reaktionsfähigkeit war gleich Null, sobald ich den Besen in der Hand hatte, zischte sie davon. Ratte 1: Elina 0.

 

Mein Pech, ihr Glück und Lorenzos Unterhaltung, einmal mehr. Elina aka Dr. Jecke live.

 

Und so habe ich nach gut drei Stunden erfolgloser Jagd beschlossen, die Ratte Ratte sein zu lassen, ihr einen Namen zu geben und mich damit abzufinden, dass ich nun ein Haustier haben würde. Die letzte Amtshandlung an diesem langen Abend war, eine meiner zwei Matratzen hinaus auf die Veranda zu tragen und das Moskitonetz darüber zu spannen. Was soll ich sagen, drei Tage später schlief ich immer noch Draussen. Zu meiner Verteidigung möchte ich aber noch anmerken, dass es auf meiner Veranda sehr gemütlich ist und ich schon viel früher auf diese Idee hätte kommen sollen.

 

Einen Namen hat die Ratte allerdings nie erhalten und als einige Tage später eine Katze unter meiner Veranda umhergestreunte, habe ich sie auch nie wieder gesehen.

 

Karma baby, Karma!

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