Halbiert

War das nur ein Traum? Ist das tatsächlich passiert? Es ist tatsächlich passiert. Das Surfboard ist zerstört. Entzwei. Unwiderruflich kaputt. Und so hat alles angefangen. An jenem Morgen war ich einmal mehr vollgepumpt mit Koffein des starken Sumatra-Kaffees und total in Surfmood. Aufgewärmt, gedehnt und mit Zinkpaste im Gesicht bin ich voller Elan rausgepaddelt. Die Wellen waren nicht zu gross, soft und ich war allein auf der rechten Seite. Alle anderen waren am Peak draussen. Ideale Bedingungen also für einen erfolgreichen Surf. Ich fühlte mich gut, selbstbewusst und sicher alleine draussen am Spot. Eine Welle anpaddeln, noch eine und dann noch eine, doch die letzte habe ich nicht gekriegt. Stattdessen spülte es mich näher ans Ufer und ans Riff und mitten rein ins Weisswasser. Wie immer wollte ich das Brett an der Leine zu mir ziehen aber es hat sich irgendwo zwischen dem Riff verfangen - Ich surfte zur Low Tide also Ebbe.

 

Überrascht über den ungewohnten Widerstand und mit leichter Nervosität zerrte ich erneut an der Leine aber mein Brett kam einfach nicht los. Aus lauter Panik fasste ich mit meiner Hand an den Klettverschluss, um die Verbindung zu kappen (so wie man das eigentlich auch machten sollte) doch im selben Moment schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass das ja überhaupt nicht mein Brett ist und dass ich es so verliere oder kaputt machen werde, also liess ich den Verschluss wieder los. Hektisch versuchte ich noch einmal erfolglos die Leine zu befreien aber im selben Augenblick rollte bereits die nächste Wand Weisswasser über mich und riss mich mit. Panik machte sich breit, ich hatte kaum Zeit um Luft zu holen und das Weisswasser war so heftig, dass ich nicht mehr auftauchen konnte. Ich hielt den Atem an so lange es ging, zog die Knie an, liess mich treiben und wartete. Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden... Gefühlte 30 Sekunden später ist mein Körper dann doch wieder an die Oberfläche getrieben und als ich das Brett schlussendlich zu mir ziehen konnte, setzte mein Herz einen Schlag lang aus. Es war bloss noch eine Hälfte übrig. Wo war die andere Hälfte abgeblieben? Oh nein, das ist nicht gut. Das ist ganz und überhaupt gar nicht gut. Das ist ein Alptraum, ein wahr gewordener Alptraum.

 

Die andere Hälfte trieb ein paar Meter vor mir im Meer. Heiliges Posaunenrohr, ich weiss nicht, was mich dazu gebracht hat, vorwärts zu eben dieser Hälfte zu schwimmen statt seitwärts Richtung Kanal. Zum sicheren Kanal, wo das Wasser zwar nicht glatt wie ein Schweizer Bergsee ist, wo es aber keine Wellen gibt, dafür die Möglichkeit durchzuatmen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon fast keine Energie mehr aber offenbar haben mir Adrenalin, Panik und weiss Buddha was kurzzeitig den Verstand geraubt und so wollte ich eben diesen Teil retten. Mieser Fehler. Die nächste Welle sah ich zu spät, sie schleuderte mich wie in der Waschmaschine herum und mir wurde bewusst, wie knapp über dem Riff ich mich befand. Einen aufgeschürften Rücken, Bauch, Kopf, was-auch-immer wollte ich nicht auch noch riskieren, also gab ich diese Rettungsaktion auf und rettete mich selbst. Mit rasendem Herzen, zittrigen Armen und salzwasserspuckend schwamm ich zum Kanal, hoffend, dass mich nicht wieder eine Wellenwand erschlagen würde.

 

Irgendwie schaffte ich es, das Brett, das halbe Brett, hinter mir herziehend vom Kanal aus zum Ufer zu schwimmen und als ich keuchend, hustend, fluchend und weinend beinahe da war, sah ich ihn erneut, den vorderen Teil. Die Nase verkehrt im Wasser, wie ein toter Fisch auf dem Rücken einige Meter vom Ufer entfernt trieb er dahin. Ohne zu überlegen bin über das Riff gewatet und liess mich dann mit dem Brett, zwei gestapelte Teile wie Brennholz, endlich zurück ans Ufer spülen, wo ich mich wie ein Schiffbrüchiger in den Sand fallen liess, die Augen schloss, und endlose Minuten einfach nur ein- und ausatmete.

 

Wie sollte ich das bloss erklären? Ein Brett, geliehen von einem Freund, der es wiederum von einem Freund geliehen hatte und ich, ich zerstöre es, zerschmettere es. Toll. Fantastisch. Ich fühlte mich furchtbar. Ein Häufchen Elend unter der sengenden Sonne Sumatras.

 

Wenig später tauchte Lorenzo dann auf und riss gottseidank Witze, brachte mich mit einem schrecklich imitierten Akzent zum Lachen und sagte mir, dass jeder schon einmal ein Brett entzweit habe. “Darauf eine Ghettofaust” und ich soll gefälligst froh sein, dass mir nichts passiert sei, alles andere spiele keine Rolle. Wie recht er hatte. Auch damit, dass diese Reise dazu bestimmt sei, ganz viele Geschichten zu schreiben. Und so beschloss ich, dass diese Geschichte, auch wenn sie für mich noch so angsteinflössend war, definitiv einen Eintrag wert ist. Und dass ich wieder rauspaddeln, wieder auf dem Brett stehen, eine Welle absurfen würde. Ohne Angst. Und das tat ich dann auch.

 

Es dauerte zwar seine Zeit, doch als ich mich entschlossen hatte, meiner Angst in die Augen zu blicken, ihr zu trotzen, erlebte ich die besten Surfstunden hier auf Sumatra. Ich fand meinen persönlichen Lieblingsspot, einen einsamen Beachbreak mit kleinen Wellen, maximal 3-4 feet. Zur gleichen Zeit wie ich kamen vier Eiheimische an und nach einem kurzen Schwatz haben wir beschlossen, gemeinsam surfen zu gehen. Was soll ich sagen, es war einfach nur GUT. Ich konnte ich mehr aufhören zu grinsen. Genau so soll es sein. Surfen soll Spass machen und gemeinsames Surfen beruht auf Respekt. Respekt vor den Wellen, Respekt vor den anderen und dass man sich auch mal eine Welle teilt oder den anderen welche abgibt.

 

Ich war so glücklich nach dieser Surfsession und der Spot war für den nächsten Tag für mich reserviert. Dunkler Sandstrand, Palmen, Felsen und das Ganze umringt von den wunderschönen grünen Sumatrabergen. Grün und blau um mich herum. Ein Traum.

 

Als ich mich dann auf den Heimweg machte, erschöpft aber auch über alle Masse zufrieden, ging gerade die Sonne unter und die Stimmung hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, ich sehe das Bild noch genau vor mir. Über mir ein orange-pinker Himmel mit einzelnen Wolken, flauschig wie Kissen, rechts die saftigen Hügel und der Dschungel und ich, mit meinem Roller, dem roten Blitz und meinem Surfbrett jage mit einem Grinsen von einem Ohr zum anderen mitten durch die ganze Kulisse. Nie werde ich dieses Gefühl vergessen.

 

Ich habe es mir selber bewiesen. Ich habe meine Furcht überwunden und wurde mit dem besten Surftag belohnt. Face your fear and you can do anything!

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