Der letzte Tag. Videogame, ON.

Angekommen bin in Sumatra an einem Donnerstag, dem 13. Februar. Abgeholt wurde ich von niemand Geringerem als Kim, meinem Surfbuddy. Ursprünglich sollten es zwei Wochen Surfen werden. Danach wollte ich noch zwei oder drei Tage bleiben und mich dann weitertreiben lassen. Abgeflogen aus Sumatra bin ich schlussendlich an einem Sonntag, dem 6. April. Wahnsinn. Bestimmt wäre ich noch immer da und würde in meinem Bungalow in den Felsen in den Tag hineinleben, hätte sich nicht diese Reisekonstellation ergeben. Immer diese Zufälle. Oder immer dieses Universum, das mit mir macht was es will. Und immer, aber wirklich immer gibt es schlussendlich eine irre Geschichte darüber.

 

Ich entschied mich also, mein geliebtes Dorf zu verlassen, nicht aber Sumatra. Die Weiterreise würde mich auf die Mentawai-Inseln führen. Ich würde ein Flugzeug nach Kuala Lumpur besteigen und am nächsten Morgen nochmal eines, würde in Padang landen und damit nach Sumatra zurückkehren. Würde ich die Franzosen finden? Würden sie den Flug erwischen oder nach einer stundenlangen Busfahrt und einer durchzechten Nacht in Medan hängenbleiben? Wir werden sehen.

 

Erst lag noch der aller-allerletzte Tag vor mir. Und diesen habe ich wirklich zum vollsten ausgeschöpft (es gibt kein voller als voll aber es hat sich wirklich vollstens angefühlt). Gemeinsam mit Emma, der yogapraktizierenden, spirituellen, umweltbeschützenden, tierliebenden, herzensguten und genauso-verrückt-wie-ich Emma fuhr ich mit dem Roller einmal mehr Richtung Süden. Wir fuhren und fuhren, vorbei an meinem einsamen Beachbreak, über die saftig grünen Hügel, entlang dem trägen Fluss der ins Meer mündet, durch den Dschungel bis wir hungrig und durstig wurden und eine Pause einlegten. Wir hielten an einem kleinen Warung über den Klippen mitten im Urwald und gönnten uns eine (Obacht!) heisse Schokolade. Ich glaube ich hatte in der ganzen bisherigen Zeit keine heisse Schokolade getrunken und diese schmeckte herrlich. Den Fakt, dass sie zu 99% künstlich und aus dem Karton war ignorierte ich geflissentlich. Dazu ein Mie Goreng und die Welt war wieder in Ordnung. Wir sassen also da, tranken unseren Kakao, plauderten und ich liess meine Reisezeit Revue passieren als auf einmal eine für Indonesien untypische Unruhe ausbrach. Ich drehte mich um und riss vor Staunen meinen Mund auf. Da sassen doch tatsächlich Siamang-Affen auf dem Geländer. Freilebende, aus der Familie der Gibbons stammende Siamang-Affen. Vom Aussterben bedroht. Nur in Malaysia und Sumatra heimisch. Und die sassen da auf dem Geländer und stibitzten den Gästen ihr Essen und Trinken. Nun gut, einem von ihnen wurde ein Plastikbecher mit Trinkwasser gegeben, welchen er genüsslich schlürfte aber ansonsten liessen sie sich nicht weiter stören. Eine kleine Sensation. Ich war völlig fasziniert von diesen bis zu 90 cm grossen Geschöpfen mit einer Armbreite von bis zu 1.50 Meter. Hatte ich doch bisher noch nie in freier Wildbahn solch grosse Affen, Verzeihung, Gibbons gesehen. Wie uns später erklärt wurde, kehrten die Tiere täglich zum Warung zurück. Verständlich, da ihnen dort die Nahrung sozusagen auf dem Silbertablett serviert wird, statt dass sie sich diese mühsam im Dschungel von Sumatra suchen, sammeln und im dicken Geäst zu verspeisen müssen. Ein Siamang hat doch tatsächlich wie wir kaum 10 Minuten zuvor ein Mie Goreng verdrückt. Gesund ist das natürlich nicht. Aber irgendwie doch spannend anzuschauen. Das absolute Highlight war ein Siamang-Baby das ständig bei seiner Mutter war aber doch so frech, Emma den Ohrring stehlen zu wollen. Nur so viel: Ihr schwarzes Fell fühlt sich fluffig und zart an. Wenn auch nur mit dem Finger berührt.

 

Bald darauf verdunkelte sich der Himmel, die Wolken zogen schneller vorüber als auf dem Hinweg und der Wind blies stärker und liess die Blätter in den Baumkronen rascheln. Wir beschlossen, uns auf den Rückweg zu machen. Der Rückweg, über den wir noch heute lachen. Der Rückweg, der einem Videospiel gleichkam. Elemente waren: Umgekippte Lastwagen die auf Messers Schneide zu stehen schienen: Strasse oder durch den Urwald über die Klippen hinunter ins Meer stürzen. Rasende Polizeiwagen, die wir genau so im Dickicht enden sahen. Polizisten, die lieber uns Vorbeifahrenden nachriefen statt sich um den durch den Unfall verursachten Stau zu kümmern. Affen, die von Bäumen sprangen. Oder fielen. Überholende Motorradfahrer, die uns ausbremsen zu wollen schienen. Plötzlich eintretender Platzregen, dem wir hilflos ausgeliefert waren, da zu Zweit auf einem Moped unterwegs mit nur einem Regenponcho. Überschwemmte Strassen, sodass das Wasser uns von Oben, von Vorne und auch von Unten aufweichte.

 

Bevor wir im Dorf ankamen, waren wir bereits völlig durchnässt. Die Kleider waren schwer wie Zement, genau so hart und kalt. Als wir zur Kreuzung kamen, die den Weg entweder zum Dorf oder in die Stadt kennzeichnete, hielt Emma an. Sie klappte ihre Helmscheibe nach oben, machte eine Grimasse und fragte mich, ob wir in die Stadt fahren wollten. Der Weg würde zwar nochmals 40 Minuten in Anspruch nehmen, aber ich sollte bedenken, dass wir ja kein warmes Wasser hätten. Wie Recht sie hatte. Normalerweise nahm ich im Bungalow eine bucket shower (Wasser-Eimer-Seife-Wasser-fertig) aber heute, der letzte Tag, und dann diese kalte Dusche. Sitzend. Mit Gegenwind. Gefühlte zwei Stunden lang. Sie hatte den Satz nicht einmal ganz zu Ende gesprochen, da hatte ich bereits zugestimmt, ins Spa zu fahren. Eine Massage plus eine heisse Dusche. Das klang zu verführerisch um es abzulehnen.

 

Also fuhren wir weiter und wie sich das für unser Videospiel gehörte, hatte just in dem Augenblick der Regen aufgehört, als wir die Stadtgrenze erreichten. Wir hatten selbstverständlich keine trockenen Ersatzkleider dabei aber Emma hatte bereits einen Plan. Wir fuhren zu einer Freundin, die uns Kleider für den Heimweg leihen würde. Wie gut, dass sie Freunde in der Stadt hatte. Wie schlecht, dass diese nicht zu Hause waren. Also fuhren wir weiter ins Spa. Uns würde schon was einfallen. Wir hielten und – oh Wunder – kriegten direkt einen Massagetermin. Da sie aber über keinen Trockner verfügten, entschieden wir uns, im Shop nebenan was Günstiges anzuziehen zu kaufen. Nasse Kleider sind zwar kein Weltuntergang aber hey, ich bin immer noch ein Mädchen und nach einer Massage und einer heissen Dusche ziehe ich bestimmt keine kalten, triefenden, klitschnassen Klamotten an. Natürlich hätte ich es getan, wäre da kein Geschäft gewesen. Aber so waren sie halt, die Umstände. Sumatrarain ich liebe dich.

Jedenfalls stellte sich heraus, dass wir uns im wohl teuersten Kleiderladen in der ganzen Stadt befanden. Und diese ist nicht gerade dafür bekannt, teuer zu sein. Emma und ich, die wir nur einen Tagesausflug in die Natur machen wollten hatten natürlich weder Kreditkarte noch besonders viel Bargeld dabei und so klaubten wir zusammen, was wir in unseren nassen Taschen fanden. Abzüglich je umgerechnet 10 Dollar für die Massagen hatten wir noch ungefähr 15 Dollar verfügbar. Überall sonst hätten wir damit den gesamten Laden kaufen können. Und hätten Rückgeld erhalten. Aber in dieser schicken Boutique mussten wir auf Gut Glück suchen. Und dann noch irgendwie den Preis herunterhandeln. Was für ein Spass.

 

Schliesslich wurden wir fündig und eilten zu unserem Massagen. Später sollten wir aussehen, wie Vincent und Jules in Pulp Fiction, nachdem sie ihre blutgetränkten Anzüge durch Trash-Klamotten ersetzt hatten. Auch das war Part des Videospiels. Wir hatten bereits angefangen, die Levels zu zählen, die wir bestritten hatten. Mit fliegenden Affen, Pfützen so gross wie Autos etc. waren wir bestimmt bei Level 8 angelangt. Somit hatten wir uns die wohltuende Massage genau so verdient, wie ein Gamer die Krone, das Schwert, die Goldmünze, den Orden, die Rüstung oder weiss der Geier.

 

Völlig entspannt verliessen wir etwa eineinhalb Stunden später das Spa und wer hätte das gedacht, es regnete wieder. Immerhin nur leichter Regen. Wie zwei Irre besprangen wir das Moped und fuhren los. Wir wagten einen zweiten Versuch bei Emmas Freunden. Vielleicht könnten wir doch noch einen zusätzlichen Regenponcho ausleihen. Wieder scheiterten wir. Aber wir fanden eine Blache, die ich mir um den Körper schlang. Besser als nichts. Und so fuhren wir – Emma in Regenponcho, Sarong, kurzer Trainerhose aus dem Spa und rotem Tigermuster-Shirt (das ich übrigens immer noch besitze) und ich in einer Art Zwangsjacke/Cape aus braunem Plastik, Batik-Hippie-Shirt und Leggings – zurück ins Dorf. Und als ob uns das Universum an diesem Tag genug Lektionen erteilt hätte, hörte der Regen auf und ich sah zum letzten Mal die Reisfelder und den Mond, der meine wunderschönen Sumatraberge in hellblauem Licht schimmern liess als wir in einem Höllentempo nach Hause rasten. Was für ein letzter Tag. Er wird mir immer in Erinnerung bleiben.

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