Shoppingtime / Dragondance

Einkaufen in der grossen Stadt ist - abgesehen von der Sprachbarriere - nicht wahnsinnig herausfordernd. Aber an diesem Tag war Einkaufen nicht gleich Einkaufen. Ich erfuhr, dass irgendwo in der Stadt ein Geschäft existiert, das Boardshorts verkauft. Für Männer. Und zwar handle es sich um ein Geschäft für Damenunterwäsche. Aha. Ich hatte bereits früher vergeblich nach Boardshorts Ausschau gehalten, wurde aber nie fündig. Da freute ich mich natürlich enorm über diese bahnbrechenden Neuigkeiten. Das Interessante daran war, dass Männer angeblich keinen Zutritt zu diesem Geschäft haben, was mich persönlich nicht im Geringsten kümmerte. Die drei Franzosen, die in den Bungalows neben mir wohnten, fanden das im Gegensatz zu mir aber überhaupt nicht lustig und fragten mich, ob ich mit ihnen zusammen in die Stadt fahren würde. Für den Fall, dass dieses Gerücht tatsächlich wahr wäre. Sie benötigten - genau wie ich - ganz dringend neue Boardshorts. Und so begann ein langer, einzigartiger und spannender Shoppingtag.

 

Irgendwo zwischen Strassenhändlern und Parkplatzanweisern mit blauen Westen und Trillerpfeifen überliessen wir unsere Bikes der Mittagshitze und liefen los. Wir wussten lediglich den Namen der „Boutique“ und da ich die einzige war, die halbwegs (na gut, mehr schlecht als recht aber immerhin mehr als sie alle zusammen) Indonesisch sprach, habe ich alle möglichen Leute auf der Strasse nach dem Weg gefragt. Und alle freuten sie sich. Und alle strahlten sie mich an und begannen eine Konversation, woher ich sei, wie toll es sei, dass ich ihre Sprache spräche und und und. So würden wir nie ans Ziel kommen doch insgeheim freute ich mich ebenfalls, dass ich mich ein wenig mit ihnen unterhalten konnte. Die meisten von ihnen kannten das Geschäft nicht aber ich gab nicht auf. Obwohl die Sonne brannte und ich nach einer Stunde klatschnass war fragte ich tapfer weiter.

 

"Lurus", meinte eine Dame, was Geradeaus bedeutet. Also gingen wir die Hauptstrasse hinunter, ich nicht mehr so gemächlich wie zu Beginn, eher im Stechschritt. Als ich an einem Matratzengeschäft vorbei kam lächelte mich eine junge Frau an und fragte in gebrochenem Englisch, was ich denn suche. Ich schaute mich um und bemerkte, dass ich alleine war. "Ich warte auf meine Freunde", entgegnete ich und wischte mir die Schweissperlen von der Stirn. Sie bot mir einen Plastikstuhl neben ihrem an und erschöpft liess ich mich nieder. Wieder die gewohnten Fragen: Woher kommst du, wie heisst du, wie alt bist du, wie lange bist du schon hier, bist du verheiratet? Brav beantwortete ich alle ihre Fragen und dann stellte ich meine Frage des Tages. Ob sie wisse, wo die "Boutique ET" sei. „Lima meter dan kiri“ auf Bahasa Indonesia, also „Fünf Meter geradeaus und dann auf der linken Seite“ und dann "I would love to show you the way". Wow, das hatte ich nicht erwartet. Gerade wollten wir uns auf den Weg machen, als die Franzosen uns auch schon eingeholt hatten und so gingen wir alle zusammen die fünfhundert Meter und etwas mehr. Angekommen bei der "Boutique ET" musste ich erstmal so sehr lachen, dass ich beinahe mein Wasser verschüttet hätte. Tatsächlich gab es ein Schild, auf dem stand: „DILARANG LAKI-LAKI“. Nur zu gerne übersetze ich: MÄNNER VERBOTEN

 

Es schien, als ob sämtliche Frauen der Stadt an diesem Tag am Unterwäsche kaufen wären und da Sharia-Gesetz herrscht und Frauen und Männer ultrastreng getrennt werden müssen, war eigentlich klar, dass letztere keinen Zutritt haben durften. Für uns "Westler" ist das natürlich völlig unerwartet, trotzdem ist das Schild nachvollziehbar. Irgendwie. Eine Art Galgenhumor.

 

Zu meiner Verwunderung freuten sich die Franzosen überhaupt nicht. Sie standen da wie bestellt und nicht abgeholt vor dem Eingang mit dem grossen bösen Schild, das ihnen entgegenlachte. Ich musste ein weiteres Lachen unterdrücken und mich sehr konzentrieren, um nicht in grossem Stil Witze zu reissen, konnte mir ein "Tidak bagus laki-laki. Dilarang disini" (Männer sind nicht gut. Verboten hier.) aber nicht verkneifen. Hier und da entdeckte ich sogar ein grinsendes Gesicht, versteckt hinter einer Einkaufstüte. Trotzdem hatte ich auch ein wenig Mitleid und so brachte ich ihnen einige Shorts zur Ansicht nach Draussen. Wir waren - glaube ich - die Attraktion des Tages und obwohl ich es anfangs noch witzig fand, die Boardshorts zu präsentieren, war ich dann froh, als der Manager mir zu Hilfe eilte und ich mich endlich um meinen eigenen Einkauf kümmerte. Bis heute weiss ich nicht, warum dieser eine Mann da erlaubt war aber ich hinterfrage das Ganze wohl besser nicht. Irgendeine Logik wird dahinter stecken.

 

Als bei uns allen die Einkaufstüten am Handgelenk baumelten und wir ziellos in der Stadt umherstolperten, meinte ich, sie würden mir ein Abendessen schulden. Für die Reiseleitung, für die Einkaufsberatung und einfach, weil ich so nett und geduldig war. Dies wurde selbstverständlich bejaht und im Rückblick war das, was uns eine halbe Stunde später widerfuhr, die wohlverdiente Entschädigung für meinen Aufwand.

 

Wir kamen an einem Tempel vorbei und überall auf der Strasse standen Menschen, vor dem Eingang drängelten sich die Besucher und auch im Inneren befanden sich so viele betende Chinesen, dass wir neugierig wurden. Wir liessen uns treiben und folgten der Menschenmasse um das Gebäude herum in einen Innenhof, wo sich noch mehr Leute befanden. Chinesen und Indonesier, Männer, Frauen und Kinder, mit und ohne Kopftuch. Ein Potpourri der Religionen und Kulturen. Kaum hatten wir die mit roten und gelben Girlanden geschmückten Stangen erspäht, kam auch schon ein Chinese auf uns zu und forderte uns auf, mit ihnen zu speisen. Ich erkundigte mich, was es mit der Dekoration auf sich hätte und er erklärte mir, dass eine chinesische Zeremonie im Gange sei. Worum genau es sich handelte, habe ich leider nicht herausgefunden aber das chinesische Neujahr konnte es nicht sein, das war bereits seit über zwei Monaten vorbei. Der Gastgeber erzählte uns, dass nach dem Essen ein Drachentanz aufgeführt werde und dass alle Zuschauer am Ende der Vorführung dem Drachen einen Umschlag mit Geld ins Maul stecken. Dies bringe Glück auf dem weiteren Lebensweg und er fragte uns, ob wir ebenfalls mitmachen wollten. Natürlich wollten wir. Und so fanden wir uns wieder in einem versteckten Innenhof mit lauter Fremden, die uns Essen und Trinken offerierten, uns Stühle brachten obwohl wir auch auf dem Fussboden gegessen hätten und die uns so herzlich willkommen hiessen, als würden wir dazu gehören. Kaum hatten wir unsere Teller leer gegessen, schnappte sich der Gastgeber das Mikrofon und eröffnete die Zeremonie, indem er uns als Ehrengäste begrüsste. Ich war sprachlos, konnte nur lächeln und winkte den mich anstarrenden Augenpaaren die um mich herum sassen und standen und mich ebenfalls anlächelten schüchtern zu. Die Show war fantastisch. Kinder hatten sich wallende Drachenkostüme übergezogen. Je eins bildete den Oberkörper, eins den Unterkörper und so hüpften, balancierten und sprangen sie elegant mit schnappendem Drachenmaul, wedelndem Schwanz und begleitet von lautem Trommelwirbel von Stange zu Stange, standen einander auf die Schultern, auf die Oberschenkel und was weiss ich. Teils verschlug es mir den Atem, wie sie da ihre akrobatische Kunst vollführten und manchmal bangte ich mit der Mutter eines Kindes mit, die sich neben mir die Hände vor die Augen schlug und immer wieder laut Seufzte. Aber es ging alles gut und sie ernteten tosenden Applaus. Die Leute flippten fast aus und drängelten sich regelrecht vor die Drachenmäuler um ihre Spende - also eigentlich eine Spende für ihr eigenes gutes Karma - zu tätigen. Auch ich legte einem roten Drachen meinen Geldumschlag ins Maul und war einfach nur glücklich, an diesem Tempel vorbei gelaufen zu sein.

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