Auf zu neuen Ufern

Ich sitze im Flugzeug nach Kuala Lumpur. Während wir über das Rollfeld gleiten, lasse ich meine Gedanken ziehen. Die letzten zwei Monate hier in Nordsumatra werde ich nie vergessen. Alle Erinnerungen, alle Menschen, die ich hier kennengelernt habe sind in meinem Herzen. Genau so wie die Sumatraberge, die durch die Wolken leuchten, das Meer, das sich kräuselt und der warme Sand am Strand von Lampuuk unter meinen Füssen oder durch meine Finger rieselnd. Die Kokospalmen, die rascheln im Wind, und alle Leute, alle Kinder, die mir jeden Tag ihr Lachen geschenkt haben, wann immer ich mit meinem roten Blitz durch das Dorf gefahren bin.

 

Glücklich, ich bin so glücklich, diesen Ort für mich gefunden zu haben, und auch wenn nicht alles richtig läuft - politisch gesehen - fühlte ich mich trotzdem willkommen. Jederzeit. Überall. Von allen. Ich weiss, ich werde hierhin zurückkehren. Mein Karma ist wieder aufgeladen nun bin ich trotz Wehmut bereit, weiter zu ziehen.

 

Drei Tage später. Am Hafen von Padang, wieder Sumatra. Wir warten auf die Fähre, die uns nach Siberut bringen soll, der Hauptinsel der Mentawais. Die Mentawai Inseln; wann immer ich davon hörte sah ich perfekte Wellen vor meinem inneren Auge, Barrels, türkisfarbenes, glasklares Wasser, einsame Strände, Hängematten, Kokospalmen, Boote voller hungriger Surfer, denen der Spot direkt vor der Haustüre nicht reicht. Dieser Ort war für mich auf der Eines-Tages-Liste. "Eines Tages, wenn ich es mir leisten kann." Aber auf dieser, meiner Reise ist schliesslich alles möglich und so warten wir am Hafen von Padang auf die Fähre. "Wir", heisst, die drei Franzosen aus Nordsumatra und ich.

 

Rückblende:

Tatsächlich hatten wir uns Abseits der Stadt wiedergefunden. Es funktionierte also auch ohne Facebook, WhatsApp und Internet. Treffpunkt bestimmen - oder eher den Aufenthaltsort so gut es geht beschreiben - Taxi ordern und Augen offen halten nach drei Vagabunden die am Strassenrand herumlungern. Es war eigentlich nicht schwer, die drei "bule" zu finden. Sie waren die einzigen Nicht-Indonesier, abgesehen von mir natürlich. Und sie sassen wirklich am Strassenrand und sahen todmüde aus. Es muss ein verrückter Trip nach Medan gewesen sein aber das wird ihre Geschichte bleiben. Dies hier ist meine.

 

Bevor wir endlich in Richtung Mentawais aufbrechen konnten, verloren wir zwei Tage in der überhaupt nicht coolen Stadt Padang. Im wohl übelsten Hotel der Stadt abgestiegen (heiss, stinkend, eklig, eng) flüchteten wir mitten in der Nacht aufs Dach indem wir die Matratzen über eine schmale Stahltreppe nach oben trugen. Moskitonetz an der Wäscheleine befestigt, et voilà. Nur so konnten wir der feuchten, erdrückenden Hitze des fenster- und ventilatorlosen Zimmers entkommen. Am nächsten Tag erfuhren wir, dass keine Fähre in Betrieb sei und da wir eher nicht in diesem netten Gasthaus bleiben wollten, suchten wir uns ein neues Nachtlager. Am anderen Ende der Stadt wurden wir fündig. Annehmbar und günstig. Well done my french friends. Zu Fuss und ohne Gepäck war alles kein Problem. Nun musste aber unsere ganzen Habseligkeiten transportiert werden. Auch hierfür fanden wir eine Lösung bzw. einen netten Studenten, der unser Elend mitangehört hatte. Spontan holte er beim Nachbarn ein Moped mit Seitenwagen, wobei Seitenwagen bedeutet, ein weiteres Rad und ein Stahlgestell mit darübergelegten Holzbrettern. Aber wer will sich denn beklagen über einen kostenlosen Transport zum Hotel und zurück. Wir fuhren also zu fünft auf diesem legendären Kamikaze-Gefährt los und mussten einige mit Schlaglöchern durchzogene Seitenstrassen nehmen, da der junge Student die Polizei fürchtete. Wir konnten es ihm nicht verübeln. Was wir taten war gemeingefährlich. Aber es sollte nicht das letzte Mal sein. Und auch nicht die kleinste Anzahl Fahrgäste.

 

Im Hotel angekommen mussten wir sämtliches Gepäck auf die Bretter hieven, wobei mein Gepäck mit Abstand den geringsten Platz einnahm. Wer hätte das gedacht. Zwei prall gefüllte, halb zerrissene, mit Spanngurten zusammengehaltene Surfbrett-Taschen, vier grosse Rucksäcke, vier kleine Rucksäcke, etliche Plastiksäcke, einzelne Schuhe. Man hätte denken können, jemand wandert aus. Oder jemand entsorgt seinen ganzen Hausrat. Unglaublich. Und das alles hatte tatsächlich auf dem "Seitenwagen" Platz. Inklusive mir auf dem Rücksitz des Mopeds. Ich muss zugeben, das war und ist einer der grossartigsten Transporte aller Zeiten. Beim neuen Homestay angekommen liess ich es mir nicht nehmen, dem Jungen ein ordentliches Trinkgeld zu geben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Bursche mit der Nickelbrille tagtäglich einen solchen Transport auf die Beine stellt. Aber mutig wars.

 

Nach einer angenehmen Nacht packten wir unsere Siebensachen zusammen und organisierten einen weiteren - diesmal ungefährlichen - Transport zum Hafen von Padang. Da die Insel zu der wir reisen würden von der Zivilisation abgeschnitten ist, mussten wir vorher einkaufen gehen. Wir hatten ja keine Ahnung, worauf wir uns einliessen. Wir kauften, was unserer Meinung nach am wenigsten erhältlich sein würde: Reis, Spaghetti, Dosentomaten, Mückenspray und noch einige andere Utensilien. Wie sehr wir uns geirrt hatten, sollten wir 14 Stunden später feststellen.

 

Zurück zur Gegenwart:

Wir sitzen also am Hafen von Padang und in mir macht sich eine leichte Nervosität breit. Ich habe keinen blassen Schimmer, was mich erwartet. Ich weiss nicht einmal, wohin genau wir reisen. Aber es spielt eigentlich auch keine Rolle. Ich lasse mich treiben. Wortwörtlich. Auf der Fähre, übers Wasser. Die Fahrt mit der Nachtfähre nach Siberut dauert 10 Stunden. Nach der ersten Stunde werde ich Seekrank. Zwei oder drei weitere Stunden lang leide ich jämmerlich und versuche, nicht über die Reling zu kotzen; erfolgreich. Irgendwann reicht mir jemand eine Matratze. Glücklicherweise schlafe ich sofort ein und erwache erst um 5 Uhr morgens als wir in gemächlichem Tempo dem Ufer von Siberut entgegen schippern. Einen Kaffee später fahren wir auf der Ladefläche eines Pickups zur "Hauptstadt" weiter. Dort melden wir uns erstmal beim Polizeiposten oder Einwohnerkontrolle oder Touristenbüro an, um danach den nächsten Transport auf dem Seeweg zu nehmen. Eine Stunde - und verflucht hoher Wellengang für dieses kleine Boot - später erreichen wir Nyang Nyang, unser Domizil für unbestimmte Zeit. Nächster Punkt auf der Tagesordnung: Dach über dem Kopf. Kurz und knapp, wir sind bei Einheimischen untergebracht, schlafen auf dünnen Maträtzchen auf dem Fussboden, unter löcherigen Moskitonetzen, Indo-Klo, also ein Thron auf Beton umringt von Spinnen und ihren Netzen und meine geliebte bucket-shower dürfen natürlich auch nicht fehlen. Ich glaube, hier könnte ich mich wohl fühlen.

 

Allerdings gibt es ein kleines Problem. Ein klitzekleines. Peanuts. Wir haben für vier Personen noch ungefähr zwei Liter Trinkwasser. Wir sind Helden, kauften die halbe Mall leer mit Reis und Pasta und gingen davon aus, dass auf einer Mini-Mini-Insel wie dieser Trinkwasser vorhanden sei. Aber davon lasse ich mir den Augenblick nicht versauen. Ich bin auf einer der Mentawai-Inseln, mitten im Nirgendwo, weg von Allem. Kein Internet, keine Strassen, keine Autos, kein Strom. Der perfekte Ort für innere Ruhe und Gelassenheit. Bloss keine Aufregung.

 

Einmal mehr, falsch gedacht…

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