Der letzte Tag, der es in sich hat

Mein letzter Tag auf Sri Lanka fing an, wie der Vorletzte aufhörte: Mit Alka Seltzer. Verfluchter Arrack! Aber auf meine Kopfschmerzen und das flaue Gefühl im Magen konnte und wollte ich heute schlichtweg keine Rücksicht nehmen. Stattdessen trank ich das Acetylsalcylsäure-Gebräu auf Ex und spülte mit einem Liter Wasser nach. Diesen Tag würde ich komplett im Salzwasser verbringen. Alles würde ich aus meiner Paddelkraft rausholen. Surfen bis ich hungrig, durstig oder sonnenverbrannt sein würde. Und so schlich ich mich – lautlos wie ein Geist und ebenso weiss im Gesicht dank meines Zinc-Sticks – frühmorgens aus dem noch schlafenden Haus. Ich stürzte mich in die Fluten und paddelte was das Zeug hält. Ein wahrer Kraft- und Geduldsakt, war der White Wash doch wie stets in den letzten Tagen ausgesprochen widerspenstig. Ich paddelte, ich tauchte, ich fluchte, ich schwitzte und dann endlich war ich draussen im Line up. Und mein Kater war wie weggeblasen. Nach wie vor die beste Hangover-Medizin überhaupt!

 

Es waren nur wenige Leute im Wasser. Nichts gibt mir mehr Ruhe und Gelassenheit als ein leeres Line-up. Wem nicht?! Ausser natürlich man ist mit Freunden draussen aber Kim war ja bereits abgereist und crazy old man schlief selig. Jedenfalls schien die Sonne, das Wasser glitzerte und die Wellen waren genau so wie ich sie mir wünschte. Ich genoss den Moment. Eins mit der Natur. Irgendwann kam dann auch Sam rausgepaddlet, noch etwas zerknittert aber auch er wusste offenbar um das Geheimnis der besten Hangover-Medizin. Nach dreieinhalb Stunden machte sich bei mir aber langsam der Hunger bemerkbar. Und die pralle Sonne hatte meinen Körper mittlerweile mehr aufgeheizt als das Salzwasser ihn herunter zu kühlen vermochte. Ich war kurz davor, zum Ufer zurück zu paddeln, unter anderem auch weil ich keine Kraft mehr hatte, mit meinem doch ziemlich schweren Brett die grossen Brecher zu duckdiven. Doch irgendwie konnte ich nicht. Wollte noch nicht zurück. Und dann tauschten Sam und ich kurzerhand die Bretter und ich wollte definitiv noch nicht an Land. Wie leicht das doch ging mit diesem Brett. Volumen ist ja schön und gut aber manchmal darf es auch eine Nummer leichter sein. Pow – Duckdive – Wamm – Duckdive – Splash – Duckdive. Herrlich. Aber auch damit verliess mich langsam aber sicher die Kraft und mein Magen meldete sich mit einem penetranten Knurren. Also gingen wir mit der nächsten Welle raus. Ich würde das Brett später nochmals ausprobieren. Dachte ich zumindest. Aber der Tag war noch lang.

 

Zu meiner Freude war ein Besuch bei Frieda, Matts und ihrem Sohn Sigge geplant, der coolsten Familie überhaupt. Nach meiner eigenen Familie natürlich. Das tiefenentspannte, reisende, surfende, schwedische Paar und den kleinen blonden Racker – der bereits im zarten Alter von Eins (?) ein Markenzeichen hatte, nämlich seine blauen Gummistiefel und die Tatsache, dass er ständig nackig in der Gegend herumwatschelte – hatte ich bereits in Herz geschlossen, als wir noch alle zusammen in SK Town wohnten. Vor ein paar Wochen waren sie nach Midigama weitergezogen und wir verbanden einen Ausflug zum Surfshop mit einem Besuch bei ihnen.

 

An diesem, meinem letzten Tag schien alles möglich und so betrat ich sogar einen der suizidalen Busse von Sri Lanka gegen die ich mich zwei Monate lang erfolgreich gewehrt hatte. Tod in der Büchse wurden sie auch genannt. Wenig schmeichelnd. Warum ich mich auf einem Scooter wohler fühlte konnte ich niemandem so richtig erklären, schliesslich sind die Busse einiges grösser sprich sie haben mehr Power, mich von der Strasse zu fegen. Trotzdem hatte ich stets das Bike oder ein TukTuk bevorzugt. Das Bike nicht zuletzt wegen der Freiheit, der Unabhängigkeit und dem Fahrtwind im Haar - diesen würde ich später trotzdem intensiv zu spüren kriegen. Diesmal aber gab ich nach und stieg ein. Und war positiv überrascht. Eine sehr angenehme Fahrt inklusive Umsteigen. Die wunderschöne Landschaft Sri Lankas zog an uns vorbei, es wurde folkloristische Good-Mood-Musik gespielt und trotz der Affenhitze wehte ein leichter Wind durch die offenen Fenster. Die Rückfahrt hingegen würde meinen Adrenalinspiegel in die Höhe schnellen lassen aber dazu komme ich später.

 

Wir fuhren also nach Midigma und nachdem wir Wachs und anderen Kram gekauft hatten, schlurften wir unter der prallen Mittagssonne weiter zur “Villa Naomi”, wo Frieda, Matts und Sigge residierten. Als wir am Haus mit dem gelben Fenster vorbeikamen in dem ich zwei Nächte verbracht hatte (Stichwort “beste Toilette der Welt”) musste ich schmunzeln und konnte mir einen kurzen Abstecher um Hallo zu sagen nicht verkneifen.

 

Anschliessend spazierte ich über die Wiese an den Kühen und Kälbern vorbei zum Hotel zu den anderen. Die Freude des Wiedersehns war gross! Klein-Sigge sass – natürlich – fudiblutt auf dem Bett und spielte.

 

Nach einem gemütlichen Schwatz meldete sich erneut der Hunger, hatten wir doch lediglich Kaffee und Crackers mit Marmite und Avocado gefrühstückt. (Ja, ich habe eine grosse Leidenschaft für Marmite entwickelt). Wie dem auch sei, ich wurde aufgefordert, den angeblich besten Veggie-Burger im Restaurant die Strasse hinunter zu probieren. Wahrhaftig schmeckte dieser absolut fantastisch und das sogar mit Toastbrot statt Burgerbrötchen - war ihnen ausgegangen - welches mit Olivenöl beträufelt und mit Knoblauch eingerieben war. Dazu Salat und Fries. YUM!

 

Danach fanden wir uns alle auf der Terrasse der “Villa Naomi” ein, Bierflaschen wurden geöffnet und es wurden Geschichten erzählt und gelacht bis mir der Bauch weh tat. Eigentlich hatte ich noch kurz bei Lala vorbeischaün, ein letztes Mal über buffalo curd sinnieren wollen aber er war leider unterwegs. Doch als wir da so gemütlich in unseren Sesseln lümmelten kam er prompt mit seinem TukTuk angerollt ich grinste breit. Was für ein Zufall. Diese Chance musste ergriffen werden und als Frieda und Matts uns fragten, ob wir später auf ein letztes Curry zu Lala wollten stiess ich beinahe einen Freudenjauchzer aus. Selbstverständlich wollte ich! Und so blieben wir bis zum Sonnenuntergang sitzen, ich genoss ein letztes Mal die Umgebung, die tolle Gesellschaft und den sanften Wind, der die Palmen zum Schwanken und mich auf positive Weise zum Schaudern brachte.

 

Das Curry schmeckte einmal mehr fantastisch. Nicht zu vergleichen mit dem Curry auf der Big Girl’s Party aber soweit ich das beurteilen kann, läge man absolut falsch, auf Sri Lanka Curries miteinander zu vergleichen, da jede Familie ihr eigenes Rezept zu besitzen scheint.

 

Je später die Stunde wurde, je mehr wurde mir bewusst, dass ich am nächsten Morgen um 5 Uhr aufstehen musste um zum Flughafen zu fahren. Und da ich davon ausgegangen war, am frühen Nachmittag wieder zu Hause zu sein, hatte ich nicht gepackt. Natürlich nicht. Ich erledige immer alles in letzter Minute. Und bisher hat sich dieses System – was überhaupt gar kein System ist sondern ein Herauszögern – absolut bewährt. Deshalb verabschiedeten wir uns von unseren Freunden und machten uns auf den Heimweg. Irgend ein Bus würde bestimmt an der Strasse anhalten um uns aufzusammeln. Wer glaubt schon an Fahrpläne? Wir standen also an der dunklen, menschen- und fahrzeugleeren Strasse und warteten. Nur der Mond und die Sterne über uns spendeten ein wenig Licht. Irgendwann sahen wir ein paar hundert Meter vor uns zwei riesige blendende Augen, die in einem Höllentempo auf uns zu zu rasen schienen. Würde der Bus anhalten oder weiterfahren? 50/50 Chance. Und tatsächlich, er hielt an. Beziehungsweise drosselte er das Tempo damit wir einsteigen oder besser gesagt hineinhechten konnten. Aber nur ein kleines bisschen. Man wollte ja schliesslich keine Zeit verlieren. Der Fahrplan musste eingehalten werden.

 

Sobald ich die Stufen erklommen hatte, beschleunigte der Fahrer wieder auf gefühlte 100 km/h. Im Innern war es gerammelt voll, kein Platz war mehr frei was mich zu dieser späten Stunde ziemlich überraschte und so hielt ich mich im Gang stehend an einer Stange fest und versuchte, bei dieser, meiner möglicherweise letzten Fahrt überhaupt nicht umzufallen während Sam halb aus der offenen Bustür hing. Der Wahnsinn. Schliesslich stiegen Leute aus der hintersten Reihe aus und wir stürzten uns auf die Plätze. Was die Fahrt allerdings auch nicht unbedingt besser machte. Mal links, mal rechts überholend, niemals den Fuss vom Gaspedal nehmend war der Busfahrer offenbar in einem Temporausch, den nur Rennfahrer kennen dürften. Es holperte, es quietschte, es pfiff, die Fenster direkt hinter uns schienen beinahe aus dem Rahmen zu springen, wir selbst hüpften auf unseren Sitzen auf und ab als ob wir uns in einer Hüpfburg befänden, dazu fegte uns der Wind aus der offenen Tür ins Gesicht. Soviel zum Thema Fahrtwind im Haar. Und dann betonte mein Sitznachbar auch noch, dass er noch nie eine solche Busfahrt erlebt habe (habe ich schon erwähnt, dass er seit 15 Jahren nach Sri Lanka kommt?); sehr beruhigend. Vielen Dank auch. Ich habe absolut keine Erinnerung mehr daran, wie lange die Fahrt daürte aber als wir schliesslich in Matara ankamen war ich nur noch erleichtert. Da kein Bus mehr weiter in Richtung Süden zu fahren schien, nahmen wir ein TukTuk zum Dorf zurück. Jedoch nicht ohne kurzes Midnight Shopping vorher. Schliesslich benötigte ich für meine Weiterreise ein grosses Glas Marmite und ich wusste, dieses würde wo ich hinginge nicht erhältlich sein. Ebenso suchte ich eine Packung Ceylontee, der mich immer an die Teatime mit Kim erinnern würde und als ich diese gefunden hatte, war das grosse Glas Marmite bereits bezahlt worden und wurde mir anschliessend als Abschiedsgeschenk überreicht. Offenbar beeindruckt, dass ein Nicht-Engländer eine Schwäche für dieses salzige Zeug entwickeln konnte, wurde meine Sucht offiziell unterstützt.

 

Zu Hause angekommen hiess es für mich Kram zusammen suchen sowie Brett und Rucksack packen. Nachdem ich diese Aufgabe hinter mich gebracht hatte, liess ich mich aufs Bett fallen, verschwitzt, sonnenverbrannt und immer noch Adrenalin durch meine Venen pumpend der Busfahrt sei dank aber trotzdem glücklich und mit einem Lächeln im Gesicht. An diesem, meinem letzten Tag auf Sri Lanka, so schien es, hatten sich Universum, Karma und was weiss ich wer oder was sonst noch zusammen getan um mich glücklich zu machen. Und ich hatte jede einzelne Minute genossen. Sri Lanka hatte sich mir ein letztes Mal mit sämtlichen Facetten gezeigt. 100% intensiv. 100% perfekt.

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