Von Gummienten und Affen

Die Zeit vergeht auf Sumatra wie im Flug und bereits nach den ersten vier Tagen war mir alles so vertraut und es fühlte sich an, als sei ich bereits wieder Monate da. So verwunderte es auch nicht, dass wir schon lange davon geredet hatten, aber erst nach gefühlten Wochen die Mission "Tube" tatsächlich auch in Angriff nahmen. Soll heissen, Nindy, meine Freundin und ich machten uns in der Stadt auf die Suche nach alten LKW-Reifen oder was auch immer man aufpumpen und womit man im Meer planschen konnte. Sämtliche Läden an der Strasse klapperten wir ab, bis wir schliesslich bei einer kleinen staubigen Werkstatt fündig wurden. Natürlich bekamen wir die Reifen nicht ohne zu handeln und ich bin nicht sicher, ob meine Anwesenheit den Preis hoch- oder runterdrückte, jedenfalls bekamen wir die Reifen für 10 Stutz. Die Frage wie wir denn die Reifen transportieren sollten hatten wir uns natürlich nicht im Vorhinein gestellt und diese zu beantworten sollte sich als tricky erweisen. Einen Reifen mussten wir dann bereits nach der ersten Viertelstunde reparieren lassen. Empfindliche Gebrauchsgegenstände sind das, da schleift man sie gerade mal zwei Minuten mit dem Roller über den Asphalt, schon haben sie ein Loch. Kaum war der erste geflickt, war der der zweite im Eimer aber abends um Elf hat auch die hinterletzte Werkstatt geschlossen und so fuhren wir am nächsten Tag letztendlich nur mit einem los. Um halb fünf Uhr morgens. Drei Mädels auf der leeren Strasse. Jede mit ihrer Lieblingsmusik im Ohr. Eingepackt in dicke Pullis und Schals. Wie eine kleine Karawane aber eben nicht durch die Wüste sondern über Teer. Ab und zu nur begegneten uns Menschen, die zu Fuss auf dem Weg zum morgendlichen Gebet in die Moschee waren. Bald liessen wir die Stadt hinter uns und über Brücken, Hügel hinauf, Hügel hinunter kamen wir am Meer auf der östlichen Seite Nordsumatras an. Das spiegelglatte Wasser leuchtete im Mondschein wie eisblaues Seidenpapier. Schon von Weitem sah ich eine mit hunderten kleiner Spiegel bedeckte Moschee-Kuppel glitzern, umgeben von Palmen die sich gemütlich im Morgenwind wiegten. Schliesslich gelangten wir via Schotterstrasse zur einsamen Bucht von Lamreh. Dass wir den tausend Schlaglöchern flink wie Katzen ausweichen mussten verstand sich von selbst. Es benötigte lediglich ein wenig Konzentration am frühen Morgen und bremsbereite Hände. Die Sonne war mittlerweile aufgegangen und liess das türkisfarbene Wasser das glasklar zu unseren Füssen lag noch mehr strahlen als wir die Picknickdecke auf der Wiese über den Klippen ausbreiteten. Wir hätten genauso gut irgendwo in Europa sein können; saftige Wiesen, Wälder und ein einsames Fischerboot als einziges Anzeichen menschlicher Existenz. Kein Laut ausser dem Klang der Natur drang in unsere Ohren. Vogelgezwitscher, Grillenzirpen, Wind der sachte durch die Bäume strich und das sanfte Schwappen der Wellen von weit unten vom Strand. Sumatraberge im Hintergrund. Wolken wie Schuppen eines riesigen Fisches der gemächlich am Himmel vorbeizieht. Klick, klick, blinzel, blinzel – Bild eingeprägt. Das ist das Leben!

Nach einem ausgiebigen Frühstück und einer halbherzigen Siesta - andere machten stattdessen Morgenyoga – stürzten wir uns mit dem Riesenreifen ins Wasser. Zu dritt sprangen wir drauf, paddelten, fielen runter, planschten, kreischten, prusteten, lachten. Ach wie schön ist es unerwachsen zu sein, dem inneren Kind einfach freien Lauf zu lassen und den Moment zu geniessen. Wir schwammen einmal um den grössten Felsen herum, bestaunten den knorrigen Baum der aussah wie eine alte runzlige Frau die mit gegen einen unsichtbaren Feind ausgestreckten Armen und wirrem Haar aus Geäst und einzelnen Blättern an der Klippe stand, tauchten ab, hinunter ins klare kühle Nass und liessen uns treiben. Der Tag verging wie im Flug.

Der Rückweg gestaltete sich natürlich auch wieder als kleine Mission bis wir eine halbwegs anständige Methode entwickelten, den Riesenreifen am Roller zu befestigen. Auf dem Hinweg trug Emma ihn wie einen monströsen Gummiring um den Körper, was sie wie eine überdimensionale Gummiente aussehen liess. Diese Taktik war aber eher als lebensgefährlich einzustufen. Schlussendlich fixierten wir ihn mit Seilen, Haken und einer Art Netz am hinteren Teil des Rollers; nicht minder gefährlich aber zur Not hat es funktioniert. Unterwegs rasteten wir für eine frisch geköpfte Kokosnuss und ein Mie Goreng auf einem Steg über dem Meer und genossen die Nachmittagssonne. Danach fuhr die kleine Karawane weiter Richtung Stadt.

Irgendwann musste ich zum Tanken anhalten und was ich in jenem verwilderten Garten hinter dem kleinen Hüttchen sah, trieb mir Tränen in die Augen. Ein kleiner Affe an einer viel zu kurzen Leine, hin- und herlaufend, daran zerrend, weinend (ja, der Affe hat geweint), vor- und zurückwippend als hätte er bereits den Verstand verloren. Ein Baby-Äffchen. Ich an seiner Stelle hätte auch den Verstand verloren. Emma, die seit über einem Jahr in auf Nordsumatra lebt und arbeitet kennt solche Situationen leider nur zu gut und als sie meinen traurigen Blick sah, konnte sie nicht anders, als zur Familie hinzugehen und mit ihnen zu reden. Den Affen freizukaufen würde nichts bringen meinte sie, das würde die Familie nur ermutigen, einen neuen Affen zu beschaffen. Macht Sinn. Leider. Also gab sie uns kurzerhand als Veterinäre aus – was zwar nicht ganz stimmt aber immerhin arbeitet sie für eine Institution, welche Affen und andere bedrohte Tierarten schützt und diese vor dem Aussterben zu retten versucht http://www.haka.or.id/ – und versuchte ihnen begreiflich zu machen, dass das Tier leidet. Das schien ihnen einzuleuchten und plötzlich schaute der kleine Junge neben mir genau so traurig drein wie ich. Wir schlugen vor, das Äffchen in einer Box weit weg vom Haus im Dschungel freizulassen weil sie sich fürchteten, das Tier würde sie nach einer etwaigen Aussetzung beissen. Kulturell bedingt mussten sie dieses Unterfangen aber zuerst mit dem Familienoberhaupt besprechen, welches gerade nicht zu Hause war. Wir boten an, nochmal vorbei zu schauen und sie würden in der Zwischenzeit mit dem Vater sprechen. Natürlich ist es möglich, dass das Äffchen in der Wildnis nicht überlebt aber ist es nicht besser, den Versuch zu wagen statt die kleine gequälte Gestalt an einer kurzen Leine dem Wahnsinn zu überlassen?!

Wer weiss, vielleicht würde der Affe bis dahin bereits frei sein und im Urwald von Ast zu Ast springen, ohne von einer Leine zurück gezerrt zu werden. Er würde auf Lianen schaukeln und mit seinen Artgenossen spielen. Wir werden sehen.

 

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